Was ist mit meiner Unterhose los?

…inzwischen waren einige Tage vergangen, und ich wurde von der geschützten Station der Psychiatrie auf die offen geführte Station verlegt. Dort fühlte ich mich um einiges besser aufgehoben. Die ersten Tage verbrachte ich jedoch auch dort

überwiegend nur im Bett. Regelmäßig versuchten Pfleger und Ärzte, mich dazu zu animieren, das Therapieangebot wahrzunehmen, doch ich fühlte mich noch immer zu schwach. Der leitende Oberarzt beschrieb mich als wortkarg, antriebslos, wenig präsent und mimisch starr, doch das hat mich nicht interessiert. Als ich mich nach einiger Zeit als stark genug empfand, habe ich mein Zimmer verlassen und angefangen, die Station und auch die Patienten näher zu betrachten. Die Räumlichkeiten waren ansprechend und sauber. Das war mir wichtig. Und auch die Patienten vor Ort waren mir weniger unheimlich, als die auf der geschützten Station.

 

Es war früher Nachmittag, als ich durch die Flure spazierte. Plötzlich kam eine Frau hektisch aus ihrem Zimmer gelaufen. Ihre Blicke verrieten, dass sie eine Suchende war. Sie schien mir zudem auch etwas verwirrt. Sie entdeckte mich, kam eilend auf

mich zu und flüsterte mir ins Ohr: „Was ist heute mit meiner Unterhose los?“.

Ich war von ihrer Nähe und auch von ihrer Frage so erschrocken, dass ich sofort

nach einem Fluchtweg Ausschau hielt. Doch die Dame ließ nicht locker und ließ sich

erst recht nicht beruhigen. Sie suchte andere Patienten auf und murmelte auch

denen ins Ohr: „Was ist heute mit meiner Unterhose los?“. Als auch die anderen

Patienten keine Antwort auf ihre Frage wussten, wurde die Dame immer hektischer. Sie griff sich in ihre Hose und zog, mal links, mal rechts, den Bund ihrer Unterhose bis zum Bauchnabel hoch. Als sie aus der Ferne einen Krankenpfleger entdeckte, schrie sie über den kompletten Flur: „Herr Schmitt, etwas stimmt mit meiner Unterhose nicht!“. Ich war sichtlich amüsiert und das erste Mal, seit Beginn meines Aufenthaltes, kam mir ein Schmunzeln übers Gesicht.

 

Langsam fing ich an zu begreifen, dass die Ärzte und Krankenpfleger dieser Station tatsächlich nur daran interessiert waren, mich von meinem seelischen Tief zu befreien. So beschloss ich also, anfangs noch zögerlich, aber sehr bedacht, das Therapieangebot anzunehmen. Gemeinsam mit den Ärzten erarbeiteten wir einen persönlichen Therapieplan. Dieser war anfangs noch recht übersichtlich, doch es stellte sich schnell heraus, dass die Anzahl der Therapiestunden für den Beginn mehr als ausreichend waren, denn diese raubten mir unfassbar viel Energie. Zu den

„eigentlichen“ Therapiestunden zählte auch die Teilnahme an den Mahlzeiten.

Schnell fand ich Gefallen daran, nicht weil dort wahre Delikatessen aufgetischt

worden waren, nein - vielmehr schien es so zu sein, als ob während den

Mahlzeiten eine ungezwungene Atmosphäre aufkam.

 

Schnell suchte ich Kontakt zu den anderen Patienten und hörte mir mit großem Interesse deren persönliche Schicksale an. Schicksale, die teilweise so ergreifend waren, dass das Bedürfnis in mir wuchs, die jeweilige Person zu umarmen.

 

Das Therapieangebot war recht überschaubar. Es warteten keine neuen innovativen Angebote auf mich. Das war mir zunächst auch wirklich recht, denn ich Begriff die Notwendigkeit einer Therapie noch immer nicht. Viel lieber habe ich damit begonnen, mir ausreichend Zeit für die anderen Patienten zu nehmen. Deren Geschichten waren

authentisch, so echt. Ich fand schnell Gefallen daran mir deren Schicksale

anzuhören, so musste ich mich nicht mit meiner Geschichte befassen.

 

Einmal Hölle und zurück – ich erzähl dir meine Geschichte.

 

Fortsetzung folgt!

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