Hör nicht auf mich zu lieben!

Schnell schleicht sich während eines Klinikaufenthaltes der Alltag ein. Aufstehen, frühstücken, schlafen, Therapie, Mittagessen, schlafen, Therapie, Freizeit, Abendessen, wach

liegen. Tagein, tagaus – hin und wieder auch mal im unterschiedlichen Rhythmus, oder auch mit Überraschungen. Aber im großen Ganzen ändert sich Nichts.

 

Mir wurde das Therapieangebot „Akupunktur“ empfohlen. Ich war voller Erwartungen, weil ich mit diesem Therapieangebot bisher noch nicht in Berührung gekommen bin. Können kleine Nadeln tatsächlich mein Seelenleiden beenden? Voller Vorfreude ließ ich mich auf das Angebot ein und ging zum Vorgespräch. Die Therapeutin war wenig

bemüht, mir etwas über die Behandlung, die Sinnhaftigkeit und den Ursprung dieser Behandlungsmethode zu erzählen. Kurz klärte sie mich über einige Nebenwirkungen auf, welche während oder nach einer Behandlung auftreten könnten, und kaum strich ich mir die Haare hinter die Ohren, hatte ich auch schon einige Nadeln an meinen Ohrenmuscheln hängen. Hastig hatte sie beide Ohren behandelt, bediente die Musikanlage und verabschiedete sich. Nun saß ich alleine im Therapieraum und orientalische Klänge sollten diese Therapie noch positiv bestärken. Ich schloss meine Augen und versuchte mich zu entspannen. Schnell merkte ich, dass mich diese Therapieart nicht entspannt und sogar das Gegenteil in mir hervorruft.

Ich wurde immer unruhiger und Wut kam in mir auf. Meine Ohrmuscheln juckten und

am liebsten hätte ich mir sämtliche Nadeln mit einem Griff aus den Ohren

gezogen. Ich atmete mehrmals tief ein und aus, um mich wieder zu beruhigen.

Doch als auch die orientalische Entspannungsmusik anfing mich fürchterlich zu

nerven, riss ich im Affekt jede Nadel einzeln raus. Völlig außer mir verließ

ich den Therapieraum und eilte in mein Zimmer. Ich ging ins Bad und schaute in

den Spiegel. Meine Ohren waren krebsrot und zwischen meinen Haaren hatte ich

noch die eine oder andere Nadel gefunden. Ich rieb mir eifrig meine Ohrenmuscheln und kühlte diese mit Wasser. Ich empfand so viel Zorn, dass ich mich auf mein Bett schmiss und aus lauter Verzweiflung anfing zu weinen. Wie konnte denn so eine vielversprechende Therapie bei mir keine Wirkung zeigen? Würde es überhaupt etwas geben, was mir helfen könnte, oder war ich ein extremer Härtefall?! Hätte

ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt gewusst, wie steinig mein Weg noch werden würde, hätte ich mich mit Sicherheit für ein vorzeitiges Ende entschieden.

 

Ich war kraftlos und müde. Ich setzte mich an den Schreibtisch und starrte auf ein leeres Blatt Papier. Ich hatte das Bedürfnis aufzuschreiben, was ich fühlte, doch keines der Wörter, welche mir durch den Kopf gingen, wurden meinen Empfindungen gerecht. Also fing ich an, einen Vogel zu skizzieren. Der Vogel symbolisiert für mich Freiheit und Leichtigkeit. Etwas wonach ich mich sehnte. Während des Skizzierens schossen mir Wortfetzen durch den Kopf, und ich begann, mich mit diesen Wortfetzen zu beschäftigen. Ich erstellte ein Cluster, mit auf den ersten Blick nicht zusammenhängenden Wörtern. In aller Ruhe blickte ich auf diese Wörter und suchte nach Zusammenhängen. Ich legte den Stift beiseite und lehnte mich zurück. Ich fing

an zu weinen, weil ich keine Verbindung erkennen konnte. Müde legte ich mich wieder ins Bett und schlief ein. Als ich wieder aufwachte, griff ich nach dem

Blatt und begann einzelne Wörter miteinander zu verbinden. Plötzlich konnte ich

mein Cluster klar erkennen und bildete den Satz: „Hör nicht auf mich zu lieben“.

 

Einmal Hölle und zurück – ich erzähl dir meine Geschichte.

 

Fortsetzung folgt!

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